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Über das Bewusstsein von Tieren

© Angelika Nussbaum

Über das Bewusstsein von Tieren – ein Vortrag von Prof. Markus Wild

„Wir sind enorm gut darin unsere Fähigkeiten so zu beschreiben, dass sie Ausdruck von Exzellenz und Komplexität sind“ bemerkt Markus Wild, Professor für Philosophie in Basel, in seinem Vortrag „Die Schöne und das Biest. Warum interessiert sich die Philosophie für Tiere?“, den er 2018 am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen gehalten hat. Was er damit genau meint, wird in den folgenden Zeilen erörtert.

In der Tagung „Brauchen die Kulturwissenschaften einen Animal Turn“ hält Professor Wild einen Vortrag über die problematische Beziehung der Wissenschaft zum Geist der Tiere. Markus Wild, der den Terminus Tierphilosophie für den deutschen Sprachraum geprägt hat, erzählt in diesem Vortrag eine Geschichte über die Denksysteme der Philosophie und folglich auch der Wissenschaft. Der Fokus liegt auf den verschiedenen Missverständnissen über die kognitiven und sozialen Fähigkeiten von Tieren, die durch Vorurteile entstanden sind, weswegen Wild einen „animal turn“ in der Philosophie vorschlägt.

Wie bei anderen großen Wenden in der Geistesgeschichte, braucht es einen Perspektivenwechsel und eine methodische Umorientierung: Tierphilosophie muss aus dem Blickwinkel der Tiere erfolgen. Das beginnt bei Veränderungen der Sichtweise, beispielsweise wenn man traditionelle Begriffe der Philosophie wie Denken hinterfragt und neu definiert bzw. erweitert. Und man benötigt in der philosophischen Debatte eine stärkere Einbeziehung empirisch -quantitativer Forschung. So kann Tierphilosophie eine bessere Auseinandersetzung mit dem Geist der Tiere sein.
Anhand der Begriffe Anthropomorphismus, semantischer Anthropozentrismus und Anthropofabulation erklärt Wild die Herausforderungen und Probleme der Philosophie und der Wissenschaft, wenn es darum geht Tiere besser verstehen zu können und sie mit dem Menschen zu vergleichen.

Genau darum geht es in der Verhaltensforschung, die sich um ein besseres Verständnis des Verhaltens beim Menschen und bei anderen Spezies bemüht. Diese Disziplin ist es auch, die in Wilds Vortrag herangezogen wird, um zu veranschaulichen, wie die vorhin genannten Begriffe (bzw. die Mechanismen, die sie beschreiben) dazu führen, dass es uns eigentlich schwer fällt Tiere zu verstehen – und vielleicht sogar verstehen wir uns selbst auch nicht wirklich.

Wie einigen Leuten bekannt sein wird, steht die Verhaltensforschung seit jeher vor der Herausforderung des Anthropomorphismus: „Die Tendenz Tieren mentale und soziale Fähigkeiten von Menschen zuzuschreiben auf der Grundlage unzureichender oder oberflächlicher Evidenz.“ Also, man soll nicht tierisches Verhalten mit menschlichen Begriffen und Konzepten beschreiben, ohne ausreichende Belege dafür zu haben, dass das gerechtfertigt ist.

Im Laufe der Zeit versuchte man in der Verhaltensforschung den Anthropomorphismus zu umgehen indem man etwa den methodischen Zugang wählte, die Fähigkeiten von Tieren „nie auf der Grundlage einer höheren psychischen oder sozialen Fähigkeit zu interpretieren, wenn man es auf Grund einer niederen oder ohne machen konnte“. Eine Art Sparsamkeitsregel, die auch unter dem Namen Morgan´s Canon bekannt ist. Es sollte jedem hier aufgefallen sein, dass auch diese Interpretationsmethode nicht ohne Vorurteile auskommt.

Den zweiten Begriff, den Wild beschreibt, ist der semantischen Anthropozentrismus: „Mentale und soziale Fähigkeiten werden mit Blick auf menschliche Performanz definiert“. Anhand eines anschaulichen Beispiels „Können Fische Schmerz empfinden?“ – was lange eine Kontroverse in der Wissenschaft war – erläutert er, wie dieser Mechanismus funktioniert. Laut physiologischer Definition ist Schmerz abhängig von bestimmten Vorgängen im Neokortex. Fische haben keinen Neokortex, empfinden aber dennoch Schmerz. Schmerz wird bei Fischen eigentlich in anderen Regionen verarbeitet und macht das Argument man brauche einen Neokortex, um Schmerz zu empfinden, obsolet. Dennoch glaubte man lange, dass es so wäre.
Semantisch – anthropozentrische Argumentationsweisen findet man auch bei der Definition anderer Begriffe. Traditionellerweise wird Bewusstsein in der Philosophie als die (menschliche) Fähigkeit des „Selbstbewusstseins“ verstanden. Nicht nur ist diese Idee von Bewusstsein über den Menschen definiert, sie gibt auch vor, dass Bewusstsein Selbstbewusstsein sein muss, also eine Art Wahrnehmung dessen, was im eigenen Geist vor sich geht. Bewusstsein ist: „seine mentalen Zustände zum Objekt machen“.
Die philosophische Debatte um Bewusstsein hat so manche Schwachstellen, wie Wild erörtert. Er weist darauf hin, dass Bewusstsein nicht unbedingt als Selbstbewusstsein definiert werden muss. Folglich müsse man Tieren Bewusstsein nicht absprechen, man müsse nur die klassische Definition erweitern.

Kommen wir nun zum letzten Punkt, der Anthropofabulation: „Die Anthropofabulation ist Konfabulation über die Exzellenz und Komplexität menschlicher Performanz in mentalen und sozialen Fähigkeiten auf der Grundlage unzureichender oder oberflächlicher Evidenz“. Wild entlehnt den Begriff von Cameron Buckner, der damit auf methodische Probleme in der Verhaltensforschung hinweist. Anthropofabulation stellt demnach eine Kombination aus der Neigung dar sich selbst als viel komplexer einzuschätzen als man ist, eine Kombination aus der oben genannten Sparsamkeitsregel (Morgan´s Canon) und eine Kombination aus dem semantischen Anthropozentrismus. Die Folgen dieses Mechanismus, wie Wild kurz anmerkt, ist eine Besserstellung für den Menschen und eine Herabstufung für Tiere. Dass wir unsere Fähigkeiten oft so beschreiben, dass sie Ausdruck von Exzellenz und Komplexität sind, bestätigt übrigens auch die Stereotyp-, Bias- und Heuristikliteratur.

Abschießend plädiert Wild dafür, dass man sich dieser Mechanismen bewusst sein muss und dass der von ihm geforderte Animal Turn (der am Artikel – Anfang erwähnt wurde) nur dann gerechtfertigt ist, wenn man empirisch- quantitative Forschung in die philosophische Praxis miteinfließen lässt. Evidenzbasiertheit kann die soeben beschriebenen Mechanismen des Anthropomorphismus, des semantischen Anthropozentrismus und der Anthropofabulation ausgleichen.

Letzten Endes sollten wir uns die Frage stellen, wie die im Artikel beschriebenen Mechanismen unsere Wahrnehmung formen bzw. einschränken. Können sie als eine Rechtfertigung dafür fungieren, dass wir uns erhöhen und Tiere erniedrigen? Legitimieren wir dadurch insgeheim die Art und Weise, wie wir Tiere behandeln bzw. ausbeuten? Ist das aus philosophischer und wissenschaftlicher Sicht gerechtfertigt? Definitiv nicht.
Tieren diverse kognitive und soziale Fähigkeiten abzusprechen ist nicht nur moralisch verwerflich, es ist gleichermaßen auch vermessen und ignorant zu glauben, wir wüssten über sie Bescheid. Die Philosophie hat viele blinde Flecken. Und die Wissenschaft ebenso. Wenn wir uns das nächste Mal Gedanken über unseren Platz auf dieser Welt machen, sollten wir das berücksichtigen.

Den Vortrag kann man in voller Länge auf der Website von Deutschland Funk Nova nachhören: https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/tierphilosophie-ueber-das-bewusstsein-von-tieren

Verfasst von Lea